Angelika Gebhard im Interview: „Würden Sie es heute noch mal tun?“

Angelika Gebhard © millemari.

Frau Gebhard, Sie waren jahrelang mit Rollo Gebhard unterwegs auf Weltumsegelung. Wie änderte sich Ihre Beziehung zu Rollo in den sieben Jahren Ihrer Weltumsegelung?

AG: Das ist eine interessante Frage, weil sie unterstellt, dass sich unsere Beziehung verändert hat. Im Grunde suchte ich immer ein Leben mit Abenteuern. So gesehen hätte ich damals Rollo wohl gar nicht kennen gelernt, wenn er ein geregeltes, bürgerliches Leben geführt hätte. Eine gemeinsame längere Reise auf einem kleinen Boot ist ein hervorragender Beziehungstest. Auf einem Boot kann man sich spätestens nach drei bis vier Tagen nicht mehr verstecken. Jede Schminke fällt von dir ab, es ist egal, wieviel Geld du auf dem Konto hast, welche Klamotten du trägst. Hier zeigt sich wirklich innerhalb sehr kurzer Zeit, welche Charaktereigenschaften dir die Natur mitgegeben hat und ob sie mit den Eigenschaften des Partners harmonieren.

Wo gab es Freude, wo Frust?

AG: Freude in der Beziehung: Die Freude und das gemeinsame Glück, zusammen mit dem eigenen Segelboot fremde Länder und Völker kennen zu lernen.

Frust: Ich kann mich an Frust nicht erinnern. Auf jeden Fall nicht, während wir auf See waren. Und an den Ankerplätzen/Häfen? Ja, einmal kam es zu einer echten Krise, als wir auf Maupihaa gefesselte Schildkröten am Strand liegen sahen, und ich sie sofort mit dem Messer befreien wollte. Mir war in dem Augenblick nicht bewusst, dass ich mit einer solchen Aktion unser Leben auf’s Spiel setzen würde, denn der illegale Verkauf der Tiere an die Händler war für die Fischer das einzige Einkommen. Hautnah so etwas zu erleben, ohne selbst sofort handeln zu können, war für mich ein so großer Schock, dass ich sogar die Reise abbrechen wollte, wenn ich meinen Willen nicht würde durchsetzen können. Die Bilder der geschundenen Tiere habe ich noch heute vor Augen. Dieses Erlebnis hat auch entscheidend dazu beigetragen, mich nach der Weltumsegelung für den Schutz der Meeresbewohner einzusetzen.

Die Kenterung war eine Extremerfahrung und Sie hatten den Tod vor Augen. Wie erlebten Sie andere Extremerfahrungen in der Partnerschaft etwa in sechs Monaten nonstop ohne Anlegen wieder nach Deutschland zurück zu segeln?

AG: Vor dem Beginn der Non-Stop-Fahrt hatte ich nur eine einzige Sorge: dass ich bei der Planung der Lebensmittelvorräte etwas Wichtiges vergessen habe. Denn Rollo hat mir diese Organisation vollständig überlassen. Und Vorausdenken gehört nicht gerade zu meinen stärksten Eigenschaften. Gedanken über die Art der Partnerschaft habe ich mir vorher und während der Expedition nie gemacht. Die Herausforderung, unser selbst gestelltes Ziel auch tatsächlich zu erreichen, bestimmte im Grunde jede Sekunde des Alltags auf See. Ich glaube auch nicht, dass ein Paar auf einer extremen Klettertour sich Fragen über die Beziehung stellen würde. „Liebe besteht nicht darin, dass man einander anschaut, sondern dass man in dieselbe Richtung blickt“, schrieb Antoine de Saint- Exupery. Und wenn ich heute zurückblicke auf die vielen gemeinsamen Reisen mit Rollo, dann ist es wohl diese Erkenntnis vom kleinen Prinzen, die unsere Beziehung geprägt hat.

Was würden Sie heute, Jahrzehnte danach, Ihrer besten Freundin erzählen, die ebenfalls eine solche Reise zusammen mit Ihrem Mann plant?

AG: Meine tiefe Überzeugung ist, dass wir auf dieser Welt sind, um Erfahrungen zu sammeln. Ich würde sie umarmen und sagen: „Mach es“!

Die schwierigen Momente Ihrer Reise (die Kenterung, das lange Alleinsein in der Südsee, bei der Vorbereitung der sechsmonatigen Rückkehr als Sie alle Vorräte selbst organisiert haben) haben Sie offensichtlich bis aufs Äußerste gefordert. Manch einer hätte aufgegeben. Sie nicht. Warum? Und: Mit dem Wissen, was Sie alles überstanden haben, gehen Sie heute schwierige Momente im Leben anders an?

AG: Es gab vor allem zwei schwierige Momente. Zunächst einmal: Nach der Kenterung. Als mir bewusst wurde, dass unsere Yacht diese Monsterwelle tatsächlich überlebt hatte, kam ein Gefühl hoch, das mir sagte: „Schlimmer kann es nicht kommen“. Dieses Gefühl entwickelte sich zu einer großen inneren Energie für all das, was das Schicksal mit mir noch vorhatte. Mein Vertrauen zu unserem Schiff, nach dieser stärksten vorstellbaren Belastungsprobe der Kenterung, war seit dem Augenblick durch nichts mehr zu erschüttern. Außerdem fällt es mir schwer umzukehren, ein Ziel, das ich mir selbst gestellt habe, plötzlich aufzugeben. Im Grunde kostet es viel mehr Überwindung und Kraft, auch einmal ein Projekt abzubrechen, als es nach außen scheinen mag. Denn in dem Moment muss ich erst einmal eine scheinbare Niederlage mit mir selbst verarbeiten.

Allein im Urwald der Salomonen: Niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, aufzugeben, die Zeit alleine abzubrechen. Wir hatten ja auch keine andere Wahl aus organisatorischen Gründen. Und ich wollte die Wochen auch ganz bewusst erleben, war im Grunde sogar froh, dass ich die Chance dazu hatte. Diese sogenannten Grenzerfahrungen während des vollständigen Alleinseins waren für mich eine starke Bereicherung meiner inneren und äußeren Wahrnehmung.

Vorbereitung der Non-Stopp-Fahrt: Es mag verwundern, aber die alleinige Verantwortung zu tragen für die Organisation der Lebensmittel einer sechs Monate langen Seefahrt ohne Hafen, belastete mich stärker, als meine Zeit allein an Bord. Vorausdenken fällt mir schwer. Etwas Wichtiges zu vergessen, hätte bedeuten können, dass wir entweder die Reise nicht überleben würden oder versuchen müssten, einen Nothafen anzulaufen. Unvorstellbar!

Warum ich bei all diesen Herausforderungen nicht aufgegeben habe? Das hätte für mich bedeutet, nicht mehr am Leben teilzunehmen. Herausforderungen gehören dazu, sie sind Teil unserer Kraft. Sie lassen mich Schmerzen, Freude und Glück fühlen. Und sie zeigen mir immer wieder, wie dünn das Eis ist, auf dem wir uns bewegen. Die Natur hat mir ein großes Stück Optimismus geschenkt. Und ich habe die tiefe Überzeugung, dass unser Leben schicksalhaft geprägt ist. Es gibt keine „Sicherheit“, und deshalb sind die Herausforderungen so etwas wie Erfahrungen, die uns geschenkt werden. Als Bereicherung unseres Daseins.

Die schwierigen Momente im Leben heute? Das ist keine einfache Frage. Vor allem, was unter „schwierig“ zu verstehen ist. Aber grundsätzlich hat sich meine Perspektive nach den vielen Jahren auf See wohl doch verändert. Das Glück, einfach nur leben zu dürfen, überstrahlt oft die Probleme des Alltags. Aber nicht immer.

Was würden Sie einer Freundin raten?

AG: Was ich einer Freundin raten würde? Mit Ratschlägen halte ich mich aus Respekt vor einem Leben, das ganz anders abläuft, als mein eigenes, lieber zurück. Letztlich sind wir Menschen wohl auf dieser Welt, um Erfahrungen zu sammeln. Für mich gibt es keine guten oder schlechten Erfahrungen. Was jeder einzelne daraus macht, liegt in seinem Wesen begründet.

Und: Sie hatten eine wirklich ungewöhnliche Beziehung mit Rollo Gebhard – sonst würde man vor allem die extremen Wechsel von „Abenteuer“ zu „Bad Wiessee“ ja auch nicht gemeinsam durchstehen? Was sind, wenn ich offen fragen darf, die drei Kardinaltugenden einer in Extremen funktionierenden Partnerschaft? Was würden Sie heutigen Frauen mitgeben, über das, was für ein funktionierendes Miteinander wichtig ist?

AG: Drei „Kardinaltugenden“ einer im Extremen funktionierenden Partnerschaft? Das ist keine leichte Frage, denn eine entsprechende Antwort würde die Schlussfolgerung zulassen, wenn man/frau diese Eigenschaften nur besäße, dann liefe automatisch alles gut. Zu schön, um wahr zu sein. Denn Eigenschaften wie Respekt vor dem Partner, Toleranz, Vertrauen, Einfühlsamkeit, Zuhören können, Geduld … sind noch lange keine Garantie für eine glückliche Partnerschaft. Zumal die meisten Menschen davon ausgehen, diese Tugenden zu besitzen. Sind es oft nicht die kleinen oder größeren sogenannten Unzulänglichkeiten des Anderen, die ihn unverwechselbar und anziehend machen?

Das spannende bei einer Partnerschaft ist wohl, dass es keine „Garantie auf Glück“ geben kann und die Partner im Wissen darum, immer wieder neu versuchen sollten, sein Gegenüber zu verstehen, ohne sein eigenes Selbst dabei aufzugeben.

Lieben heißt aber auch, loslassen können …“ Darüber könnte man ein eigenes Buch verfassen. Deshalb nur so viel: Es ist wunderschön zu erleben, wie viel ein Partner geben kann, wenn er es selbst will und er sich nicht dazu gezwungen fühlt.

Letzte Frage: Würden Sie heute noch einmal die Leinen loswerfen und auf eine lange (Segel-)Reise gehen? Fehlt Ihnen nicht das Leben auf dem Wasser? Oder anders gefragt: Was hält Sie heute an Land?

AG: Eine neue lange Segelreise reizt mich im Augenblick weniger – es sei denn, es wartet eine besondere Aufgabenstellung, die damit verbunden ist. Immerhin habe ich etwa 15 Jahre meines Lebens auf dem Wasser verbracht. Ich gebe zu, Wasser übt nach wie vor eine starke Anziehung auf mich aus. Aber ich habe das Gefühl, dass die Erlebnisse auf allen unseren Törns – einschließlich Russland – so überwältigend waren, dass sie nicht mehr zu steigern sind.

Deshalb hat es mich auch gereizt, etwas völlig anderes an Land zu starten. Die Leitung des Fotorekonstruktionsprojekts vom Pergamonaltar gehört zum Beispiel dazu. Das fotografieren antiker Skulpturen in ganz Europa, Ausstellungen zu organisieren und die damit verbundenen Reisen bereichern mein Leben unglaublich.

Ein weiterer Traum: Einmal zu Fuß ein Ziel erreichen: zum Beispiel vom Marienplatz in München bis zum Markusplatz in Venedig.

Das Interview führte Susanne Guidera

Das Interview wurde entnommen aus dem Buch „Mit Rollo um die Welt“, erschienen im Verlag millemari (www.millemari.de)

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*